Besonderheiten der Marcumar-Wirkung
Eine Blutgerinnungshemmung mit Coumarinen (Marcumar , Warfarin , Falitrom , Sintrom ) wird als Dauerbehandlung eingesetzt bei Patienten mit erhöhtem Risiko thromboembolischer Komplikationen (z.B. Schlaganfall, Lungenembolie, Embolie der Extremitäten). Die Substanzen bewirken eine verminderte Bildung der Vitamin K abhängigen Gerinnungsfaktoren in der Leber. Durch den verzögerten Syntheseprozess in der Leber wirken sich Dosisänderungen der Medikation erst mit 2-4 tägiger Verzögerung aus.
Die neuen oralen Antikoagulatien ("NOAK") wie Pradaxa , Xarelto , Eliquis , Lixiana wirken bereits wenige Stunden nach der ersten Einnahme. Nach dem Absetzen normalisiert sich die Gerinnung bis meistens zum nächsten Tag. Eine Messung der Gerinnung ist mit den üblichen Tests (Quick, INR) NICHT AUSSAGEKRÄFTIG!
Der Zustand der Blutgerinnung muss durch regelmäßige Blutkontrollen überwacht werden. Der früher oft gebräuchliche Quick-Wert zeigt erhebliche Schwankungen der Messergebnisse, die durch unterschiedliche Messverfahren bedingt sind.
Es gibt etwa 25 verschiedene Testverfahren, die bei der gleiche Blutprobe völlig unterschiedliche Quick-Werte liefern! So kann ein Quick-Wert von 10% durchaus einem Quick-Wert von 30% in einem anderen Labor entsprechen.
Vor einigen Jahren wurde daher von der WHO der standardisierte INR-Wert ("International Noramized Ratio") eingeführt. Nur der INR-Wert erlaubt einen reproduzierbaren und verlässlichen Vergleich der verschiedenen Testverfahren. Er wird grundsätzlich von dem Labor mitgeteilt.
Ein früher oft verlangter "Quick-Wert von mindestens 40%" für operative Eingriffe ist somit unsinnig. Die Beurteilung der Gerinnungsfähigkeit sollte grundsätzlich nur nach dem INR-Wert erfolgen!
Der INR-Wert entspricht in der Verlängerung der normalen Blutungszeit im Vergleich zum "normalen" (=WHO genormten) Blutplasma. (Beispiel: INR = 2,0: Blutungszeit verdoppelt).
INR-Wert |
Beschreibung |
---|---|
um 1,0 |
Normaler Wert ohne Blutverdünnung (entsprechend "Quick" = 70-130%) |
2,0 bis 3,0 |
Zielwert für Vorhofflimmern, abgelaufene Thrombose |
2,5 bis 3,5 |
Zielwert für die meisten modernen künstlichen Herzklappen |
3,0 bis 4,0 |
Zielwert für künstliche Mitralklappen sowie Doppelklappenersatz |
größer 5,0 |
Zu starke Gerinnungshemmung, zunehmende Blutungsgefahr! Kurzfristige Kontrolle erforderlich! ("Quick" meist kleiner als 10%) |
Nach den Empfehlungen und Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde können unkomplizierte Osteotomien und Extraktionen auch mehrerer Zähne bei entsprechender lokaler Blutstillung unter Antikoagulation im therapeutischen Bereich durchgeführt werden (INR= 2,0 3,0).
Bei ungenügenden Möglichkeiten einer lokalen Blutstillung oder umfangreicher chirurgischer Sanierung kann es erforderlich sein, den INR-Wert vorübergehend auf den unteren therapeutischen Bereich anzuheben. (je nach Art der Erkrankung INR = 1,6 bis 2,5). Dies sollte ausschließlich durch den betreuenden Arzt erfolgen!
Die neuen oralen Antikoagulantien ("NOAK") wie Pradaxa , Xarelto , Eliquis , Lixiana können in der Regel fortgeführt werden. Im Falle einer Blutung sollte die nächste Dosis pausiert werden. Die Substanzen verringern bereits nach wenigen Stunden ihre Wirkung.
Auf keinen Fall darf eine Antikoagulation bei Patienten mit künstlichen Herzklappen ersatzlos abgesetzt werden! Das Risiko einer zahnärztlich verursachten Blutung ist wesentlich geringen als des Risiko vital bedrohlicher Komplikationen durch Absetzten der Medikation!
INR-Bestimmung am Tag vor dem geplanten Eingriff.
INR = 2,0 3,0: Die Zahnbehandlung ist möglich, auf lokale Blutstillung achten!
INR größer 3,5: Marcumar-Dosis reduzieren (durch behandelnden Arzt), zahnärztliche Behandlung um mindestens 3 Tage verschieben. Neue INR-Bestimmung vor dem geplanten Eingriff.
INR kleiner 1,6: Die Antikoagulation ist unwirksam! Eine Zahnbehandlung ist möglich, aber unabhängig davon besteht eine Gefährdung des Patienten durch die Grunderkrankung!
Vorübergehende Absenkung auf den "Mindest-INR-Wert" durch den behandelnden Arzt.
INR nicht kleiner als 1,6 bei Vorhofflimmern
INR nicht kleiner als 1,8 bei mechanischem Aortenklappenersatz
INR nicht kleiner als 2,5 bei Mitralklappenersatz oder Doppelklappenersatz
Alternative 1: Überlappende Umstellung auf Heparin z.B. 3 x 10.000 iE. sc., Dosisanpassung bis zur 2 bis 3-fache Verlängerung der PTT, tägliche Gerinnungskontrolle erforderlich (besser stationär!)
Alternative 2: 2 x tägliche gewichtsadaptierte Gabe von niedermolekularen Heparinen (wie bei der Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose). Tägliche Gerinnungskontrolle nicht erforderlich. Einfache Anwendung, für diese Indikation aber nicht offiziell zugelassen!
Marcumar absetzen oder niedrig dosiert fortführen?
Bei vielen operativen Eingriffen inklusive Zahnbehandlungen braucht eine Antikoagulation mit Marcumar nicht abgesetzt werden. Letztlich muss das Risiko einer Blutung abgewogen werden gegen das Risiko von Thromboembolien, falls die Antikoagulation pausiert wird. Die vorübergehende Umstellung von Marcumar wird als "Bridging" bezeichnet.
Folgende Fragen führen zur Entscheidung über das Bridging:
1) Ist das Absetzen von Marcumar überhaupt notwendig?
Bei Operationen mit niedrigem Blutungsrisiko kann die Antikoagulation fortgeführt werden. Sie sollte dann in den unteren therapeutischen Bereich eingestellt werden (z.B. INR um 2,0). Ein Bridging mit Heparin ist dann nicht erforderlich.
2) Wie hoch ist das thromboembolische Risiko?
Bei hohem Risiko z.B. nach Herzklappenersatz darf auf keinen Fall auf die Antikoagulation verzichtet werden. Ein Bridging ist unbedingt erforderlich bei Operationen mit erhöhtem Blutungsrisiko.
ca. 0,75% Thrombembolierisiko, ca. 2% Blutungsrisiko pro Eingriff auch bei adäquatem Bridging.
Erwägen, ob unter diesen Voraussetzung Eingriff wirklich gerechtfertigt ist.
Aufklärungspflicht über "Off-Label-Use" der niedermolekularen Heparine (NMH). Diese sind zum Bridging nicht offiziell zugelassen - obwohl es häufig angewendet wird!
Klares Schema der Dosierung formulieren, falls ein Bridging notwendig ist.